Oma Schmitt hatte gebacken. Einen Birnenkuchen. Es war ein ganz besonderer Kuchen nach einem ganz besonderen Rezept, das Oma Schmitts Mutter auf der Flucht aus dem Osten mitgebracht hatte
„Dieser Kuchen“, erzählte Oma Schmitt eines Tages, „hat meiner Großmutter das Leben gerettet.“
„Das Leben gerettet? Wie das?“, fragten ihre Gäste, die mit Genuss den leckeren Birnenkuchen verspeisten.
„Es ist eine alte Familiengeschichte“, sagte Oma Schmitt, und dann erzählte sie von den Plünderern, die damals nach dem ersten großen Krieg raubend und marodierend durchs Land gezogen waren. In alle Häuser drangen sie ein und bedrängten die Bewohner. Sie schlugen, raubten, marodierten, drohten, verletzten Kinder und Frauen und setzen Häuser in Brand. Es war eine schlimme Zeit.“
Oma Schmitt schüttelte den Kopf und in ihren Augen spiegelte sich das Entsetzen, das ihre Ahninnen verspürt hatten, wider.
„Und eines Tages“, fuhr sie fort, „standen drei von ihnen urplötzlich in der Küche meiner Großeltern. Keiner hatte ihr Kommen bemerkt. Sie hatten nichts Gutes im Sinn. Meine Großmutter aber, eine kleine, schmächtige Frau, hielt ihnen geistesgegenwärtig ein Kuchenblech vor die Nase. Es war ein Birnenkuchen wie dieser. Sie hatte ihn gerade aus dem Ofen geholt. Er duftete köstlich und so verführerisch, dass die drei Schurken an nichts anderes mehr denken konnten als an diesen Kuchen. Oma Schmitt lächelte.
„Und dann, ja, dann saßen sie auf einmal wie gesittete, höfliche Männer am Tisch und aßen warmen Birnenkuchen mit frischer Schlagsahne. Dazu tranken sie Milch. Könnt ihr euch das vorstellen?“
Alle staunten. Nein, das konnte sich niemand vorstellen. Wie groß aber die Erleichterung von Oma Schmitts Großmutter und der Familie gewesen sein musste, das konnte sich jeder denken.
„Und deshalb“, endete Oma Schmitt, „ist dieses Kuchenrezept eines der wichtigsten Rezepte in unserer Familie. Denn wer weiß, ob es uns auf dieser Welt gäbe ohne Großmutters Birnenkuchen.“
Elke Bräunling